Samstag, 17. Dezember 2016

Fiktiver Kartengruß

Origineller Kartengruß. 
An einen Neunjährigen aus Münster-Nienberge

Lieber J.,

wie du siehst, haben wir uns bei der Auswahl unserer Weihnachtskarte große Mühe gegeben. Einiges wirst du noch nicht verstehen, deswegen solltest du unseren Gruß immer wieder lesen, bis du alles verstanden hast. Solltest du dann einmal bei uns vorbeischauen wollen, so sei dir jetzt schon gesagt, dass wir das nicht besonders gut finden würden, denn du würdest uns sicherlich Fragen stellen, die wir nur ungern beantworten. Das ist nicht nur bei dir so.

Anfang des Jahres hast du gesagt, dass du nur noch ein Jahr lang hoffen wirst, deine Schwester wiederzusehen. Darüber freuen wir uns sehr. Denn das Jahr ist fast herum. Damit nimmst du uns eine große Last ab, denn wenn du nichts mehr hoffst, müssen wir deine Hoffnungen auch nicht länger enttäuschen. Wir zählen schon die Tage bis Neujahr.

Wir haben lange überlegt, ob wir dir diesen Gruß schicken sollen, denn bisher haben wir uns für dich überhaupt nicht interessiert - und das soll auch so bleiben. Es mag ja sein, dass du deine Schwester vermisst, von der nur wir wissen, wo sie wohnt, aber auch schon als Kind muss man lernen, dass man hin und wieder auf etwas verzichten muss, du eben auf deine Schwester.

Deine Schwester mit dir unter einem Weihnachtsbaum, das mag für dich das größte Geschenk sein, aber es gibt doch auch noch CD´s, Smartphones und Laptops. Denk doch einmal an die armen Kinder in Afrika, die zwar Schwestern haben, mit denen sie aufwachsen, aber haben die auch CD´s, Smartphones und Laptops? Haben sie nicht. Viele von diesen Kindern haben nicht einmal etwas zu essen und kaum etwas zu trinken. Sei also nicht undankbar.

Solltest du in ein paar Jahren doch einmal bei uns vorbeischauen wollen, dann sag uns bitte Bescheid, damit wir rechtzeitig die Polizei informieren können. Wir kennen dort Beamte, die alles tun, was wir wollen. Dafür geben sie sich sogar neue Namen und belügen Gerichte. Aber das wirst du sicherlich schon wissen. Wir wissen das ja auch. Aber wir verraten das nicht. Sei also so verschwiegen wie wir. 

Wir werden deiner Schwester natürlich keine Karte schicken. Sie soll ja vergessen, dass es dich gibt. Das gelingt uns immer besser. Wir hoffen, dass du dich darüber freust und wünschen dir ein schönes Weihnachtsfest.

Deine Jugendämter aus Wilhelmshaven und Münster 

P. S. Entschuldige bitte, dass wir dir eine Karte mit einem englischen Spruch schicken. Aber einer unserer Mitarbeiter hat die während seines Urlaubs in Leipzig gekauft. Wie du sicherlich weißt, liegt diese Stadt nördlich von London.

Anmerkung von Heinz-Peter Tjaden: Fiktive Interviews haben sich vor 10 Jahren als nicht ungefährlich erwiesen. Hier klicken 




2 Kommentare:

  1. dieser beitrag wird bei facebook schon geteilt. kommentar einer leserin: "so ist es."

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  2. heute habe ich eine mail von einer großmutter bekommen, deren enkel beinahe von einem jugendamt um ihre kindheit betrogen worden wären.

    schön mal wieder zu sehen, dass sie weiterhin den Leuten auf die Nerven gehen, wenn es nötig ist.

    Ich jedenfalls habe mich wieder gefreut.

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